Partizipation- und Beschwerdemanagement
Im Rahmen einer Arbeitsgruppe der AGE (§ 78 SGB VIII) des Landkreises Verden wurden gemeinsame Ziele und Standards festgelegt und formuliert. Eine (externe) Beschwerdestelle für Jugendliche und deren Eltern wurde gemeinsam mit dem öffentlichen Jugendhilfeträger des Landkreises Verden konzipiert und organisiert. Diese Aufgabe wird von den sozialräumlich zugeordneten Kinderschutzfachkräften gem. § 8a SGB VIII der Freien Träger im Landkreis übernommen.
Innerhalb unserer Einrichtung fördern wir die Umsetzung der Beteiligung der Jugendlichen und deren Eltern am Erziehungs-hilfeprozess und tragen aktiv zur Verwirklichung der Rechte junger Menschen bei. Partizipation erstreckt sich dabei nicht zuletzt auch auf die internen Strukturen und Hierarchien unserer Einrichtung (MitarbeiterInbeteiligung) und wird daher immer auch als ein sich fortlaufend entwickelnder Prozess verstanden.
Im Folgenden werden die Merkmale zum Umsetzungsstand des Beteiligungs- und Beschwerdestandards konkretisiert. Dabei übernehmen Träger und pädagogische Leitung gemeinsam die aktive Hauptverantwortung bezüglich Aufrecht-erhaltung und Weiterentwicklung des Partizipations- und Beschwerdekonzeptes.
Partizipation im Aufnahmeverfahren und in der Eingewöhnungsphase
Die Partizipation beginnt bereits vor Einzug in die Einrichtung:
Wir nehmen nach Absprache mit dem Jugendamt nur Jugendliche auf, die sich aktiv für das Wohnen und die Zusammenarbeit mit uns entscheiden. Jeder junge Mensch wird über seine Rechte vorab umfassend informiert. Zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Wohngruppe findet ein gemeinsames Gespräch zum Thema Partizipation und Beschwerde statt. Die Rollen und Zuständigkeiten werden im Rahmen dieses Gespräches konkret erläutert. Wir informieren den jungen Menschen über seine umfangreichen Rechte, sowohl bzgl. der Zusammenarbeit als auch der Beschwerde und Partizipation. Zudem wird der junge Mensch auch über seine externen Beschwerdemöglichkeiten (s.o.) informiert und Ansprechpartner benannt und vorgestellt. Dem Jugendlichen wird in diesem Gespräch der Ratgeber: „Rechte haben – Recht kriegen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter überreicht und erörtert. Dieser Ratgeber liegt in unserer Einrichtung für alle BewohnerInnen und MitarbeiterInnen zugängig aus und ist Grundlage der kooperativen Zusammenarbeit. Der junge Mensch lernt die Beteiligungs- und Mitbestimmungs-möglichkeiten bzw. -strukturen im Lebensalltag kennen und beteiligt sich an diesen aktiv.
Partizipation im Lebensalltag
Im Alltag haben die jungen Menschen vielfältige Selbstbestimmungs- und Beteiligungsmöglichkeiten. Bereits zu Beginn der Maßnahme besteht ein hoher Beteiligungsgrad in der Zusammenarbeit innerhalb des Bezugsbetreuersystems. Der junge Mensch hat ein Mitsprache- bzw. Mitgestaltungsrecht, vor allem in folgenden Bereichen:
Hilfe- und Erziehungsplanung
Zielgespräche (mit BezugsbetreuerIn und päd. Leitung)
Eltern- und Schulgespräche
Strukturierung des eigenen Alltags in Absprache mit BezugsbetreuerIn (Schule/Ausbildung; Alltagspflichten; Freizeitgestaltung, Urlaubsplanung, Feierlichkeiten, etc.)
Entwicklung eines eigenen Stil bzw. „Outfit“
Gestaltung der eigenen Wohnräume (ggf. Mitnahme eigener Möbel und Sachgegenstände falls vorhanden; Mitbestimmung bei Neuanschaffungen und Raumgestaltung)
Auswahl eines Bezugsbetreuers
Kontakte zu Freunden und Bekannten (Besuche in der Einrichtung)
Arztwahl
Ein zentrales Gremium für gruppenbezogene Fragen stellt die wöchentlich stattfindende Gruppenbesprechung dar. Zudem hat jeder (BewohnerIn/MitarbeiterIn) in unserer Einrichtung das Recht eine außerordentliche Gruppenbesprechung einzuberufen. Hier werden die Belange des Zusammenlebens mit allen Beteiligten diskutiert und organisiert. Die Regeln unserer Wohngruppe werden hier auf der Basis eines Rechtekatalogs, der sich an den Vorgaben des Ratgebers „Rechte haben – Recht kriegen“ orientiert, besprochen und beschlossen. Eine Gruppenbesprechung kann bei Bedarf auch ohne Beteiligung der pädagogischen MitarbeiterInnen durchgeführt werden. Die Gruppe hat vielfältige basisdemokratische Gestaltungs- und Regulierungsoptionen. Sie kann bspw. einen (auf Zeit gewählten) Sprecher bestimmen und/oder bei gruppeninternen Konflikten ein Schiedsgericht o.ä. einrichten.
Partizipation in der Entlassungsphase
Mit fortlaufender Dauer der Maßnahme steigt die Autonomie und Eigenverantwortlichkeit des jungen Menschen kontinuierlich. In der Regel werden junge Menschen, die sich in unserer Einrichtung verselbständigen möchten, nach Erreichen der Volljährigkeit aus der stationären Hilfe entlassen. Allein durch die Erlangung der rechtmäßigen Volljährigkeit ergeben sich grundlegende Änderungen und neue Optionen hinsichtlich der Partizipation im Rahmen der Hilfeplanung. Der bisherige Erziehungsauftrag im Rahmen von elterlicher Sorge und Jugendhilfe weicht einem Beratungsauftrag hinsichtlich Persönlichkeitsentwicklung und Lebensplanentwurf des jungen volljährigen Menschen. Eine Hilfe für junge Volljährige gem. § 41 SGB VIII ist, solange sie vom zuständigen Jugendamt als zur Entwicklung der Persönlichkeit weiterhin erforderlich eingestuft wird, unmittelbar von der Mitwirkungsbereitschaft des jungen Menschen abhängig. Die Schwelle von Mitwirkungsbereitschaft zu Mitwirkungspflicht, als Voraussetzung zur Gewährung der Hilfe für junge Volljährige, ist dabei fließend. In der Entlassungsphase bestimmt der junge Mensch daher i. d. R. autonom und selbstverantwortlich, in welchen Lebens- und Sozialraum er unsere Einrichtung verlässt. In der Perspektivenentwicklung und Entscheidungsfindung ist die Einrichtung im Rahmen des hier beschriebenen Partizipationskonzeptes zwar maßgeblich beteiligt aber nicht (mehr) mitverantwortlich. Die Verabschiedung aus der Einrichtung wird gemeinsam gestaltet und angemessen feierlich begangen. Dabei wird gemeinsam mit dem jungen Menschen im Rahmen eines Abschlussgespräches unter Teilnahme des Jugendamtes auch der Bereich der Partizipation und Beschwerdeoptionen im Rahmen der zu beendenden Hilfe rückblickend, (selbst-)kritisch und offen erörtert. Das Jugendamt erhält einen Abschlussbericht, der mit dem jungen Menschen gemeinsam erstellt und besprochen wird. Der junge Mensch erhält ferner alle ihn betreffenden bzw. an ihn adressierten Unterlagen und Dokumente, die im Rahmen der Maßnahme für ihn in der pädagogischen Akte verwaltet bzw. verwahrt wurden. Zur weiteren Kontaktpflege nach Beendigung der Maßnahme findet – über einen etwaigen Telefon, Schrift- oder Besuchskontakt hinaus – ein alljährliches gemeinsames Ehemaligentreffen statt.